Alternative Fotografie: die Lochkamera

von Anita Schain

Camera obscura

Vor ungefähr vierhundert Jahren betrachtete man mit Staunen zum ersten Mal die Abbildungen, die durch ein Loch auf die Rückwand einer dunklen Kammer geworfen wurden. Die Lochkamera ist eine Miniaturausgabe dieser ältesten Form der Kamera, der Camera obscura.

Stich aus dem 17. Jahrhundert: Illustration einer Camera obscura

Unsere hochspezialisierten Kameras und kostspieligen Linsen, die umfangreiche Ausrüstung – mitunter mit Sammlerwert – lassen uns vergessen, daß wir statische Motive fast genauso gut mit einer gewöhnlichen Pappschachtel aufnehmen können, die anstatt eines Objektivs nur einen Nadelstich hat.

In einigen Punkten ist die Lochkamera der besten Linse überlegen, denn ohne Linse keine Verzerrung. Die Linien eines Lochkamera-Negativs sind nach geometrischen Maßstäben durchgängig naturgetreu, d.h. sie weisen keinerlei Bildfeldkrümmung, Achromatismus oder andere Linsenfehler auf – und dies mit einem Winkel von bis zu beeindruckenden 125°, verglichen mit lediglich 75° beim Weitwinkelobjektiv. Der Eindruck von Rundheit eines Pinhole-Bilds läßt die gewohnten (Linsen-) Fotos plötzlich vergleichsweise flach erscheinen. Viele Lochkamerabilder können von der Qualität her fast mit dem Blick durch ein Stereoskop verglichen werden.

© 2013 Dieter Schneider. All rights reserved.

Schärfe

Scharfstellen allerdings kann man hier im Grunde nicht. Egal wie weit der Schichtträger vom Loch entfernt ist, nur Größe und Winkel des Motivs werden anders abgebildet. Die Schärfe dagegen ist immer ungefähr gleich.

Mit einem Nadelloch aufgenommene Fotos sind daher immer etwas unscharf. Ein Loch, das mit einer Nadel gestochen worden ist – egal wie spitz – hat immer eine unregelmäßige, leicht ausgefranste Form, so daß die Lichtstrahlen in alle Richtungen reflektiert werden. Durch die Kleinheit des Nadellochs muß die Belichtungszeit sehr lang sein, bevor die Lichtstrahlen die Emulsion erreichen. Besser ist als solch ein unregelmäßiger Tunnel ist ein mathematisch exakt kreisrundes Loch, wobei die Kanten so schmal sein sollen, daß fast keine Lichtstrahlen von den Seiten der Öffnung abgefangen werden können. Solch eine Lochkamera ist natürlich anspruchsvoller in der Herstellung.

Da im Gegensatz zu normalen Blenden eine Lochblende wesentlich kleiner ist, spielen bei der Abbildung Beugungseffekte eine wesentliche Rolle. Dies hat Auswirkungen auf die Auflösung und Bildschärfe mit einer Lochkamera aufgenommener Bilder. Durch die Beugung werden Bildschärfe und rein physikalische Auflösung umso mehr verringert, je kleiner die Blende ist. Da bei Lochkameras die Blenden wesentlich kleiner sind als bei Objektiven, ist dies gerade bei Lochkameras ein kritischer Punkt. Durch einen Schärfe-Entwickler wie ACUROL-N kann zwar die Auflösung nicht verbessert werden, wohl aber der Eindruck von Schärfe.

© 2013 Dieter Schneider. All rights reserved.

Lichtstärke

Bevor Lichststrahlen schräg auf die Emulsion treffen, müssen sie wesentlich weiter reisen als diejenigen, die schneller fast im rechten Winkel aufkommen. In anderen Worten: je näher das Loch an der Emulsion liegt, umso geringer ist die Reichweite der chemischen Prozesse. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer längeren Belichtungszeit.

Die Belichtungszeit läßt sich hier nicht messen. Sie wird überschlagen:

Das Loch ist vergleichbar der Blende einer nicht vorhandenen Linse, oder präziser, einer unendlichen Anzahl von Linsen. Denn egal wie weit das Loch von der Emulsion entfernt ist: dieser Abstand ist immer die Brennweite. Der Blendenwert ist daher das Verhältnis zwischen dem Durchmesser des Lochs und seines Abstands vom Schichtträger.

Allerdings muß man bei der Lochkamera zusätzlich zur theoretischen Blende, die den Lochkamera-„Blenden“ zugrunde liegt, einen zusätzlichen Zeitspielraum einkalkulieren: die Zeit, die man normalerweise beim Fotografieren mit Linse bei Blende 8 benötigt, muß mit den Werten gegenüber der jeweiligen Entfernung multipliziert werden.

Das Bild zeigt den durch Schießscharten im Castelgrande von Bellinzona (Tessin) verursachten Lochkamera-Effekt: Man sieht die Projektion der roten Dächer und der grünen Bäume auf der gegenüberliegenden Wand.

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Praxis

Sonniges Wetter an sommerlichen Tagen ist ideal für die Pinhole-Fotografie.

Die Lochkamera eignet sich sehr gut für Architekturfotos, und zwar nicht nur aufgrund der naturgetreuen Abbildung der geometrischen Linien und Proportionen, sondern wegen der beinahe idealen Abmessungen.

Auch bei Weitwinkelfotos bewährt sich die Lochkamera. Während man sogar mit den besten Glaslinsen die richtige Perspektive nur bei bestimmten Entfernungen genau erfassen kann, gelingt dies mit der Lochkamera bei jeder Entfernung, indem man den Abstand zwischen Loch und Schichtträger variiert.

Schwierig ist es, mit dem Pinhole den richtigen Bildauschnitt zu finden: hier kann man rechnen oder aus der Hüfte schießen.

Für Innenaufnahmen ist die Lochkamera ebenfalls hervorragend geeignet. Die einzige Schwierigkeit liegt hier in der außerordentlich langen Belichtungszeit, die mehrere Stunden betragen kann.

Außergewöhnlich schöne, mit einer Lochkamera am diesjährigen Welt-Lochkameratag fotografierte Innenaufnahmen sandte uns Dieter Schneider:

Sunday, April 28, 2013 4:59 PM

Subject: Herzlichen Glückwunsch zum WPPD

Hallo Heribert,

ich habe heute mal einen Kodak Tri-X 400 mit 1000 ASA mit meiner Zero Image Lochkamera belichtet und mit ACUROL-N nach Deinen Vorgaben entwickelt. Das Ergebnis ist für eine Pinhole-Aufnahme absolut sehenswert. Anbei die Ergebnisse, die unbearbeitet sind.

Herzliche Grüße,

Dieter

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