SPUR Ultraspeed Vario: Die Quadratur des Kreises

SPUR Ultraspeed Vario: Die Quadratur des Kreises

Als Heribert Schain kürzlich seinen neuen Zweibad-Entwickler SPUR Ultraspeed Vario vorstellte, der darüber hinaus als „Entwicklungssystem“ bezeichnet wurde, war ich sofort neugierig. Den Angaben des Herstellers zufolge lassen sich mit diesem Entwicklungssystem alle marktüblichen Schwarzweißfilme pullen und pushen. Obendrein verfügt Ultraspeed Vario über einige außergewöhnliche Eigenschaften.

Push-Entwicklung (d.h. die Einstellung eines höheren ISO-Werts – also eine Unterbelichtung – mit einer darauf folgenden Verlängerung der Entwicklungszeit) verursacht körnige Negative und einen hohen Kontrast mit reduzierter Zeichnung in den Schatten. Pull-Entwicklung (d.h. die Einstellung eines niedrigeren ISO-Werts – also eine Überbelichtung – mit einer darauf folgenden Abkürzung der Entwicklungszeit) verursacht einen geringen Kontrast, sprich flaue Negative. Kontrastmanagement indessen ist der Kern des Zonensystems, demzufolge der Motivkontrast die Wahl von Belichtung und Entwicklung bestimmt. Eine höhere praktisch ausnutzbare Empfindlichkeit ist immer von Vorteil, wenn man langsame Filme benutzt. Sogar lichtstarke Leica-Objektive können von höheren praktischen Empfindlichkeiten noch profitieren, weil der Fotograf eine schnellere Verschlussgeschwindigkeit (immer ein schönes Bonus) wählen kann, und höherer Kontrast bekanntlich die Kantenschärfe erhöht.

Die meisten Entwickler, die damit beworben werden, die Empfindlichkeit zu erhöhen, erhöhen tatsächlich lediglich die Steilheit der Kurve um die Mitteltöne herum und bewirken überdies erhebliche Einbußen an Zeichnung in den Schatten, da die der Emulsion innewohnende Empfindlichkeit nicht verändert wird, und durch Unterbelichtung unweigerlich die Details in den Schatten vermindert werden. Die hohen Empfindlichkeiten, die bei solchen „Fantasie-Entwicklern“ manchmal angegeben werden, finden in der Realität keine Entsprechung.

Das SPUR Ultraspeed-System allerdings scheint hier die „Quadratur des Kreises“ zu sein! Ein erhöhter ISO-Wert (gemeint ist: eine Blende Unterbelichtung) und immer noch gute Zeichnung in den tiefen Schatten: das erscheint wohl jedem Fotografen erstrebenswert.

Als Testfilme habe ich Kodak Tmax 100 sowie den Film-Klassiker Ilford FP4+ mit jeweils ISO 100/21° gewählt. Diese Auswahl beinhaltet auch einen Vergleich zwischen klassischer Kornemulsion und den modernen Flachkristallemulsionen. Viele Betrachter bevorzugen den FP4+ aufgrund seiner Schärfe (Stichwort Korneindruck) und seiner hervorragenden Tonalität, denn bei dieser Emulsion können die Tonwerte sehr fein eingestellt werden. Der Film ist für die Anwendung des Zonensystems optimal geeignet. Wir haben ja mittlerweile einen langen Disput zwischen der neuen und der alten Schule der Silberhalogenid-Techniken hinter uns. Die Schale/ Kern- und Tablettenform der neuen Flachkristallemulsionen auf der einen Seite lassen einen geringeren Silbergehalt und den verringerten Eindruck von Körnigkeit zu. Insofern sie richtig entwickelt wurden, sind Flachkristall-Negative im Allgemeinen weniger dicht, und dies hat Auswirkungen auf die Dunkelkammertechnik.

Auf der anderen Seite besitzen die klassischen Kornformen und Strukturen, die im FP4+ oder auch in ADOX-Filmen zur Anwendung kommen, einen höheren Silbergehalt, und bringen daher ein dichteres Negativ und eine feinere Grauwertskala.

Wolfgang Heidrich und Heribert Schain, die treibenden Kräfte hinter der SPUR-Chemie, sind ein höchst innovatives Team, das danach strebt, innerhalb einer traditionsreichen Technologie neue Wege zu beschreiten und mit neugewonnenen Einsichten altbekannte Probleme zu lösen. Mit SPUR ACUROL haben die beiden ein topaktuelles Entwicklungssystem konzipiert, das eine hohe Flexibilität in der Anwendung mit technischen Möglichkeiten des Zonensystems auf simple, aber höchst effektive Weise vereint.

Pushen gemäß dem Zonensystem hat die Zielsetzung, den Kontrast in Niedrigkontrastmotiven zu verbessern und gleichzeitig den Verlust von Details in den Schatten zu begrenzen. Und nicht zuletzt genießt das Pushen einen Kultstatus in bestimmten Kreisen, wo man die ISO-Werte ganz erheblich zu steigern sucht. Ein körniges Bild mit übersteigerten schwarz-weiß Kontrasten ist das Resultat – ein Stil, der in den 1960ern nachgefragt war.

Der neue Ultraspeed Vario ist ein Zweibad-Entwickler, der einfach in der Anwendung ist. Die Entwicklungszeiten für beide Bäder können variiert werden, um unterschiedliche ISO-Werte zu erreichen, oder um es noch präziser auszudrücken, einen anderen Empfindlichkeitsindex (EI).

Ich habe beide Testfilme mit der doppelten Nennempfindlichkeit belichtet: den Ilford-Film also bei EI 250 und den Kodak-Film bei EI 200.

Meine Fotowand Graukarte kam hier zum Einsatz und die Belichtungsmessung wurde ganz klassisch mit dem Gossen Mastersix durchgeführt. Die Entwicklung wurde gemäß den Herstellerangaben durchgeführt, die Negative mit einem Heiland Densitometer gemessen. Die Resultate können Sie dem unten stehenden Graph entnehmen.

SPUR Ultraspeed Vario: die Quadratur des Kreises beim Pushen und Pullen
© 2014 Erwin Puts. All rights reserved. Charakteristische Kurven. Zum Vergrößern klicken

Zieht man die Dichtekurve in Betracht, weisen beide Filme vergleichbare Charakteristika auf. Die wichtigen Zonen II bis VII sind hier schön wiedergegeben, mit printbaren Dichten bei Gradation 2 und exzellentem Kontrast. Zone 1 (der Empfindlichkeitspunkt) zeigt eine nur geringe Dichte, was darauf hindeutet, dass der beste EI hier lediglich eine 2/3 Blende und nicht eine volle Blende wäre. Aber der Gewinn an Empfindlichkeit ist willkommen, und in jedem Falle hat man einen signifikanten Unterbelichtungsspielraum. Die Lichter mögen weniger dicht sein, aber das lässt sich leicht korrigieren, indem man die Entwicklungszeit des zweiten Entwicklerbads darauf abstimmt.

Meine großes Erstaunen und meine positive Überraschung liegen in der Tatsache begründet, dass dieser Empfindlichkeitsgewinn mit der allergeringsten Zunahme an Körnigkeit und völlig ohne Verlust von Tonwerten erreicht wird. Beim Vergleich beider Filme kann angemerkt werden, dass der Kodak das feinste Korn besitzt. Das Korn des Ilford-Films indessen, obschon nur bei 10facher Vergrößerung zu erkennen, macht einen optisch sehr ansprechenden Eindruck.

Der Ultraspeed kann mit jedem Film zur Anwendung kommen und funktioniert im Spielraum des Pulls (N-4) bis Pushs (N+2). Die Normalentwicklung (N) ist ebenfalls verfügbar.

Die SPUR-Entwicklerpalette deckt nunmehr die Gebiete der Hochauflösung (Modular UR) sowie der Hochempfindlichkeit innerhalb des klassischen ISO-Bereichs von ISO 25/15° bis ISO 800/30° ab (beim Kodak Tmax 400 kann ein EI von 800 zuverlässig voll ausgenutzt werden). Mit Digitalkameras bewaffnete Fotografen mögen über solche Werte lächeln (da sie ja gewohnheitsmäßig mit Empfindlichkeiten hantieren, die ISO 2000/34° weit übersteigen). Hierzu möchte ich folgendes anmerken. Von einem technischen Standpunkt aus betrachtet, haben die Silberhalogenidemulsionen eine Photonenausbeute von bestenfalls 10%, und CMOS-Sensoren haben eine Photonenausbeute von mehr als 60%, wodurch man einen wesentlich effizienteren Empfindlichkeitsgewinn erzielen kann.

Philosophisch betrachtet, operieren die Silberfilme innerhalb jenes traditionsreichen Spektrums, innerhalb dessen alle großen Fotografen gearbeitet und beste Resultate erzielt haben.

Indem man sich auf niedrigere Empfindlichkeitswerte beschränkt, erhält man womöglich ultimativ die besseren Bilder, denn das Bekenntnis zum Film zwingt den Fotografen dazu, vorausschauend zu denken und dementsprechend zu planen.

Erwin Puts

Deutsche Übersetzung: Anita Schain. Lesen Sie auch das englischsprachige Original des Artikels von Erwin Puts auf seinem Blog „The Tao of Leica„.